Tiroler Sonntag – Scham und Wut

Interview mit Josef Nussbaumer: “Scham und Wut”
von Ulli Pizzignacco-Widerhofer, Walter Höbling
Tiroler Sonntag, 23.Oktober 2011, Nr. 42, Seite 6f

Wer ist Schuld am Hunger in der Welt? Der Wirtschaftswissenschafter Josef Nussbaumer hat vielfältige Ursachen gefunden. Im Interview mit dem TIROLER SONNTAG spricht er über den Anteil der Natur und des Menschen

Josef Nussbaumer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck.

Berichte über Hungerkrisen sind immer mit ausgetrockneter Erde und wolkenlosem Himmel illustriert. Ist das Wetter schuld am Hunger in der Welt? Beim Hunger spielen viele Faktoren eine Rolle. Wenn man nur einen Faktor ändert und glaubt, man bekämpft den Hunger, dann ist man maßlos enttäuscht. Da bietet sich die Natur als Hungerursache geradezu an, denn dagegen ist man machtlos.

In Ostafrika hat es drei Jahre lang nicht geregnet. Das stimmt. Aber wenn man sich überlegt, dass nur drei Prozent der weltweiten Bewässerungssysteme in Afrika sind, sieht man auch, dass man nichts gegen die Dürre tut. In Somalia haben wir nicht nur eine Naturkatastrophe, sondern auch eine Sozialkatastrophe. Dort gibt es keine funktionierende Regierung, sondern ein Rabaukentum. Es gibt keine vernünftigen demokratischen Strukturen.

Gibt es zu wenig Land, um alle Menschen zu ernähren? Wir leben erstmals in einer Zeit, in der die weltweit zur Verfügung stehende Agrarfläche fast vollständig ausgenutzt ist. Jetzt müsste man eine Umverteilung des Landes vornehmen. In Lateinamerika gibt es Farmen, so groß wie Vorarlberg. Dort könnte man mehr Lebensmittel anbauen, wenn das Land sinnvoller unter den Menschen aufgeteilt würde. Die Farmen bauen nicht nur Nahrung an, sondern auch Baumwolle, Kautschuk, Getreide für Biosprit.

Können wir Treibstoff aus Nahrung verantworten? Die Gutachten dazu sind so negativ, dass sich das nicht lange halten wird. Ein großer PKW benötigt für einen Volltank die Jahresration eines Menschen an Getreide. Durch den Biosprit wird das Ackerland für Nahrungsmittel geringer, und das bei steigender Bevölkerung. Das führt dazu, dass der Getreidepreis explodiert, weil die Broker an den Börsen erkennen, dass man damit Geld machen kann. Die letzte Stufe ist das Land-Grabbing, wo Staaten riesige Flächen an ausländische Konzerne verpachten. Die bauen dann nicht an, was die Menschen dort brauchen, sondern produzieren Rosen oder Nahrungsmittel für den Export. Das geht nur dort, wo demokratische Strukturen fehlen.

Gibt es zu viele Menschen auf der Erde? Das ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Wenn man das Niveau von Bangladesh nimmt, dann sind wir bei weitem nicht überbevölkert. Wenn man das Niveau von Amerika nimmt, dann sind sieben Milliarden Menschen einriesiges Problem. So viel Fleisch könnte man gar nicht produzieren. Für die Aufzucht von Hühnern braucht man die dreifache Getreidemenge, bei Schweinen die fünffache, bei Rindern die acht- bis fünfzehnfache Menge. Eines ist aber klar: Es ist immer ein Verteilungsproblem. Wir in Europa könnten mit wesentlich weniger Ressourcen auch glücklich sein. Wir bräuchten mehr Gehirnschmalz, das ist die Ressource, die am knappsten ist.

Auf welche Lösungen sollten wir mit unserem Hirnschmalz kommen? Ganz wichtig ist, dass man mindestens so viel in die erste Welt investieren müsste im Sinne von Aufklärung. Das ist schwer, weil wir in einer unglaublich gesättigten Gegenwartsgesellschaft stecken. So gut, wie um das Jahr 2000 ist es uns in Tirol noch nie gegangen. Und alle haben ge- glaubt, das ist das Normale. Da gibt es dann kaum offene Ohren für soziale Fragen. Wir müssen nicht in die Dritte Welt gehen, sondern bei uns etwas ändern, denn das Problem liegt bei uns. Ein kleines Beispiel: Die Schweiz importiert ungefähr acht Mal so viel Kupfer wie China. Denn in der Schweiz sitzen die Holdings, die mit den Umrechnungsschlüsseln ungeheuer viel Steuer machen – und die Leute in den Kupferminen bekommen nichts.

Reicht die staatliche Entwicklungshilfe aus? Die 34 reichsten Länder der Erde, erhalten sechs Mal mehr landwirtschaftliche Subventionen, als die offizielle Entwicklungshilfe ausmacht. Wenn ich die Entwicklungshilfe streiche und die OECD-Unterstüztung für die Bauern um zwei Drittel reduziere, wäre das viel besser. Oder wenn man für die Rohstoffe einen halbwegs fairen Preis bezahlt und nicht alle Gewinne bei uns landen, ist das mehr wert als die gesamte Entwicklungshilfe. Ein weiterer Punkt sind die Exportförderungen. Wenn ich ein exportsubventioniertes Agrargut in die dritte Welt exportiere, das dann am dortigen Markt mit den heimischen Bauern konkurriert, haben die nie eine Chance.

In einer UN-Konvention ist ein Recht auf Nahrung festgehalten. Ist es möglich, das einzuklagen? Das ist eine nicht einklagbare Absichtserklärung. Aber dass das überhaupt drinnen steht, ist schon wahnsinnig gut. Jetzt müsste man Rahmengesetze machen, wie man das sinnvollerweise einklagen kann. Das ist auch mit dem Wasser so. Es gibt ein Recht auf Wasser, aber auch das ist nicht einklagbar.

Was braucht es, um Hunger wirksam zu bekämpfen? Wenn wir nicht anfangen, uns mit den Problemen zu beschäftigen und uns dafür zu schämen, wird sich nichts ändern. Ich finde es schwieriger, jemandem am Biertisch die weltweiten Zusammenhänge zu erklären als Geld für die Hungerhilfe zu spenden. Es braucht auch ein Minimum an Wut. Wir haben ein Verteilungsproblem, und dessen zugespitzteste Form ist der Hungertod. Wenn ich nicht genug Nahrung und Wasser habe, um zu überleben, ist das zynisch in einer Welt, in der das nicht sein müsste. Dar- über immer wieder zu reden ist unser pädagogischer Auf- trag. Wenn ich auf der Uni zum Beispiel einen Quiz über die weltweiten Zusammenhänge mache, dann sind die Studenten hellhörig und haben Aha-Erlebnisse.

Haben Sie ein Beispiel? Wie viel Umweltverschmutzung verursacht ein einziger Ehering? Es sind ungefähr 20 Tonnen: Verschmutztes Wasser, verschmutzter Boden. Die Goldmengen im Gestein sind so gering, dass man mit Zyankali arbeiten muss, und das Gift rinnt in die Flüsse.

Der Einzelne ist da ziemlich ohnmächtig. Man muss Minimalist sein. Je mehr ich von meinem Tun erwarte, um so enttäuschter werde ich sein. Das zweite, und da wird es urchristlich: Die Hoffnung gibt erst dann einen Sinn, wenn die Situation hoffnungslos scheint. Die Hoffnung ist ein Geschenk, aber sie ist ein subtiles Pflänzchen, das ich jeden Tag gießen muss, weil ich es so dringend brauche.

Man darf eines nicht vergessen: Selbst die großen Veränderungen sind meist durch einen Vielzahl von kleinen Veränderungen vollzogen worden. Es geht um Kleinigkeiten, die zu Hause anfangen: Bei mir zu Hause wird kein Brot schimmlig, und ich bestelle auch keine Brötchen, die am nächsten Tag weggeschmissen werden.

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