GUT – Herr der Zahlen

UKD-HP-pic-140318-GemeindegutArtikel: “Herr der Zahlen”
GUT, März 2014, S. 56
von Bernhard Rangger

Prof. Josef Nussbaumer von der Fakultät Volkswirtschaft und Statistik negiert die Konsumwelt und nutzt die Ironie von Zahlen, um die Welt ein wenig besser zu machen.

Der Weg zu unserem Termin führt über die breite Stiege des Innsbrucker SoWi-Gebäudes durch ei- nen schmalen Gang im 3. Stock in ein förmlich verstopftes Büro: Bücher, Mappen, Ordner, Zeitschriften, Illustrierte, Notizblöcke uvm. türmen sich in dem kleinen Zimmer. Mitten drin sitzt ein schmunzelnder Herr mit einem Hulk- Hogan-Schnauzer und heißt uns willkommen: „Prof. Josef Nussbaumer mein Name. Ich besitze kein Handy, kein Auto und betreibe keinen Sport“, lässt er uns wissen. „Ich koche gerne und entspanne mich in meiner Badewanne. Auf Bücher und ein Glaserl Wein kann ich nicht verzichten. Den Fleischkäse musste ich mir aus gesundheitlichen Gründen abgewöhnen!“

„Ich fürchte, dass Sie von meinem bescheidenen Wissen eher enttäuscht sein werden, aber einen gemeinsamen Termin zu einem Gespräch – so viel Zeit habe ich immer“, antwortet uns der Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Historiker und Ökonom auf unser erstes Kontaktmail. „Auf der Uni ist gerade das nahende Semesterende und da beneh- men sich die Studenten wie in einem Hühnerstall, in dem gerade der Fuchs beim Fenster hereinschaut“, bittet er um etwas Geduld. Immerhin ist der Statistiker bereits im 63. Lebensjahr. „Die Uni hat mich 1970 nach Tirol gebracht und meine beiden Buben pflanzen mich heute noch we- gen meines oberösterreichischen Dialekts“, entschuldigt er sich, als wir endlich eine freie Kammer auf der Uni für unser Interview gefunden haben.

ZAHLEN DIE TROCKENHEIT RAUBEN

„Zahlen sind der kürzeste Weg um Daten zu transportieren“, erklärt der studierte Volkswirt und Wirtschaftsgeschichtler. „An Hand von Zahlen und Fakten kann man ent- ideologisieren, nur darf man dabei nicht außer Acht lassen, dass Zahlen schrecklich trocken sind. Man muss sie mit Substanz füllen, damit sie an Trockenheit verlieren“, gibt er uns Einblick in die Beweggründe seiner wissenschaftlichen Arbeit. Bereits vor vielen Jahren hatte daher ein Freund Nussbaumers die Idee, aus den vielen, interessanten Daten des Wissenschaftlers ein kleines Heft mit Grafiken zu ma- chen: „Hans Staller war Chef des Studia-Verlags und ist lei- der viel zu früh gestorben. Gemeinsam mit ihm haben wir

die ersten Computergrafikprogramme genutzt und lauter ti- rolbezogene Daten illustriert. Unter dem Titel ‚Die Graphen von Tirol’ entstand ein Werk, das sich für die damalige Zeit recht gut verkaufte.“ Sein Sinn für „Zahlen und Fakten“ war geweckt. Rund zwei Jahre dauerten seither seine Recherchen, ehe er wieder ein Buch veröffentlichte: „Die Bücher und wissenschaftlichen Werke sind gleichzeitig Stoff für meine Lehrtätigkeit!“ Immer häufiger wurde er zu Vorträgen einge- laden: „Das ist so zeitaufwendig geworden, dass ich das nur mehr einmal pro Monat mache!“ Zeitungen und Radiosender kamen auf ihn zu, um sein Zahlen- und Faktenwissen ihren Lesern und Hörern zugänglich zu machen.

UNZÄHLIGE FAKTEN ÜBER TIROL

Grundsätzlich glaubt Nussbaumer, dass es ein Trend der Zeit ist, mit statistischen Daten schlampiger umzugehen: „Die EDV-Systeme verarbeiten immer mehr Zahlen. Früher wurde bei jeder Grafik angeführt, wie eine Statistik zustande gekommen ist. Wenn man heute Wahlanalysen ansieht, wer- den meist die Nichtwähler weggelassen. Dabei stellen diese oft sogar die Mehrheit dar!“ Zum 20. Todestag des Graphen- Erfinders gab Nussbauer gemeinsam mit Dipl. Betriebswirt Stefan Neuner ein neues Werk unter diesem Titel heraus: „Ich habe darin unzählige Statistiken ausgewertet und ver- sucht, Tirol aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.“ Auf Linien, Balken- und Kuchendiagrammen stellte er fest, dass zum Beispiel den Brenner 30 Prozent mehr LkWs überqueren als über alle Schweizer Alpenpässe zusammen rollen. 2009 zählte man in Tirol 969 Aufstiegshilfen, also 3,6 Seilbahnen, Schlepp- oder Sessellifte pro Gemeinde. Zwischen 1952 und dem Jahr 2010 stieg die Zahl der Passagiere am Flughafen Innsbruck um 28.000 Prozent. Die Stadt Wien hat insgesamt zwölfmal so große Getreideanbauflächen wie Tirol. Nur ein Prozent der be- nötigten Brotmenge können wir Tiroler mit eigenem Mehl herstellen. Auf Grund des Erfolgs der „Graphen“ verfasste er im Vorjahr das Buch „Rekordverdächtiges und Sonstiges über, in, von und aus Tirol“. „Ich habe fast zwei Jahre lang für das Büchlein recherchiert, aber es ist leider überhaupt nicht auf Interesse gestoßen“, schmunzelt Nussbaumer. „Das war völlig unökonomisch. Wenn man die investierte Zeit in Relation zu den Einnahmen betrachtet, lacht mich jeder Fliesenleger aus. Aber die Arbeit hat einfach Spaß ge- macht und das eine oder andere kann ich auch für andere Tätigkeiten verwenden!“

AUSWIRKUNGEN DER GLOBALISIERUNG

2009 feierte er mit „Unser kleines Dorf “ hingegen seinen bisher größten Erfolg. Über 6.000 Stück des Buches gin- gen über den Ladentisch: „Im Laufe meiner Lehrtätigkeit stellte ich fest, dass ab einer gewissen Größenordnung Zahlen nicht mehr begreifbar sind. Deshalb kamen Dozent Dr. Andreas Exenberger, Stefan Neuner und ich auf die Idee der Verkleinerung. Wir reduzierten die Welt auf ein Niveau, das sich jeder vorstellen kann. Nach eingehender Diskussion stellten wir uns die Frage: Was wäre, wenn die Welt ein Dorf mit 100 Menschen wäre? Alle Zahlen wurden auf diesen Wert heruntergerechnet. Daraus entstand das Dorf Globo, dem wir die Referenzzahlen des schicksalsträchtigen Jahres 2000 gegenüberstellten!“ In „Unser kleines Dorf “ zeigen die Autoren Zustände, Konflikte und Perspektiven rund um die Globalisierung auf. 40 Bewohner verfügen in ihren Häusern nicht einmal über ein Bad oder Klo. Mitteleuropäer und Amerikaner sind hingegen eine verschwindend kleine Gruppe an Privilegierten, die mehr als 50 Prozent aller Rüstungsausgaben tätigen und über- mäßig viel konsumieren. Nur 20 Prozent der Bevölkerung verfügen über die Möglichkeit, bei einer Operation eine Bluttransfusion zu erhalten. Das Buch wurde mit dem

Tiroler Bildungsinnovationspreis ausgezeichnet. Den CAST Award 2012 erhielt das daraus entstandene „Globospiel – Die Welt in der Hosentasche“ von Stefan Neuner und Andreas Exenberger. „Botschaft von Buch und Spiel sind, dass in den nächsten Jahrzehnten auf Tirol große Veränderungen zukommen. Die Vermischung mit Nichttirolerischem ist genauso eine Folge der Globalisierung wie Klimaveränderungen, der steigende Energieverbrauch und die Nachfrage nach Wasser. Wer dieses Werk liest oder das Kartenspiel spielt, kann sich zumindest im Kopf auf die- se Veränderungen vorbereiten!“

FAST 40.000 EURO FÜR GUTEN ZWECK

Da die drei Autoren ursprünglich nur 500 Bücher von „Unser kleines Dorf “ auflegen wollten und die Tantiemen daraus gedrittelt hätten werden müssen, kamen sie auf die Idee, den Reinerlös zu spenden. „Rund 38.000 Euro haben wir mit dem Buch gesammelt. Auch der Großteil unse- rer Vortragshonorare floss in karitative Zwecke. Mein Ziel ist es, schon bald die 50.000er Marke zu überschreiten“, träumt der humorvolle Wissenschaftler und Gegner un- serer Konsumgesellschaft mit Sinn für den guten Zweck. Ans Aufhören denkt der „Herr der Zahlen“ jedenfalls noch nicht: „Solange mir meine Studenten zuhören und ich sie mit meinen Zahlenspielen fesseln kann, bleibe ich noch. Sollte ich aber merken, dass ich zu skurril werde, gehe ich sofort in den Ruhestand!“

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