TT – Beim Fleischkonsum ist der Plafond erreicht

logo-TTArtikel: Beim Fleischkonsum ist der Plafond erreicht
Tiroler Tageszeitung, Sonntag 19.10.2014, Seite 18
von Sabine Strobl

Der Hunger ist eine stille Katastrophe, sagte der Volkswirtschafter Josef Nussbaumer anlässlich des Welternährungstages diese Woche. Wie wird das Thema greifbarer?

Terrorismus, Klima und neoliberale Wirtschaft sind laut diskutierte Themen. Wo liegt der Hunger?

Josef Nussbaumer: Hunger ist eine stille Katastrophe und dringt deshalb wenig an die Öffentlichkeit. Die betroffenen Menschen sind zu schwach, sie haben also kein revolutionäres Poten- zial. Hungernde sind meist sehr ungefährlich. So kann man auch das Welternährungsprogramm stutzen. Gut, dass es wenigstens den Welternährungstag gibt. Das ist eine Möglich- keit, um die Stille um das Thema zu durchbrechen.

Sie haben mit Stefan Neuner einen Kreuzweg des Hungers zusammengestellt. Was ist zu tun?

Nussbaumer: In einem Punkt sind sich alle Menschen gleich: Sie können sich nicht aussuchen, wann und wo sie geboren werden. Wir sollten darüber nachdenken. Für uns ist es selbstverständlich, dass wir uns satt essen. Doch diese Selbstverständlichkeiten sind meistens nicht selbstverständlich – weder Demokratie noch Wohlstand.

Wie gewinnt man die Satten?

Nussbaumer: Das ist der Knackpunkt. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler sagt: Bevor die Menschen nicht Schande dafür empfinden, dass andere hungern, passiert nichts. Schande ist vielleicht der falsche Begriff. Der Philosoph Glucksmann spricht von Gleichgültigkeit. Die erleben wir heute. Dabei reichen fünf bis sieben Prozent der Gesellschaft, um ein Thema wichtig zu machen. Das Problem ist nur, dass diese paar Prozent aus allen Bevölkerungsteilen kommen müssen, zum Beispiel vom Polizisten bis zum Jugendlichen.

Reicht das Geld, um alle satt zu machen?

Nussbaumer: Hunger ist kein Geldproblem. Ein paar Tarnkappenbomber weniger könnten viel bewirken. Zumal die Welt überrüstet ist. Auf einen Menschen kommen 1,5 Tonnen Material mit Zerstörungspotenzial. Krieg und Diktatur sind Hauptursachen von Hunger. Demokratie ist die Basis für eine hungerlose Gesellschaft. Ich denke an Ango- la. Das Land erlitt 30 Jahre Bürgerkrieg. Jetzt sind die fruchtbaren Böden unpassierbar, weil sie vermint sind.

Andere Ursachen scheinen bekämpfbarer. Was geschieht mit Getreidesprit?

Nussbaumer: Da wird man andere Wege ge- hen. Zuerst wird aus dem Raps das Öl, das wir für die Ernährung brauchen, hergestellt. Aus den Abfallprodukten kann man dann Biodiesel gewinnen. Schwieriger wird es schon beim Fleischkonsum.

Warum?

Nussbaumer: Wir haben den Plafond erreicht. 1947 wurde in Innsbruck Fleisch zugeteilt. 400 Gramm gab es pro Person im Monat. Auf diesem Niveau ist heute Bangladesch. Die WHO spricht davon, dass etwa 7

bis 8 Kilo Fleisch pro Kopf im Jahr ausreichen würden, um unser Fleisch- minimum zu decken. Wir essen aber 70 Kilo. Der Konsum in China und Indien steigt. In Brasilien gibt es infolge der Fleischindustrie und Land Grabbing bereits fünf Millionen landlose Bauern.

Wird auch das Wasserproblem unterschätzt?

Nussbaumer: Ja, völlig. Von Chinas zweitgrößtem Fluss, dem Gelben Fluss, gelangt monatelang kein Tropfen Wasser ins Meer. Das Wasser galt als gege- ben. Ein Fehler, den auch die ökonomische Theorie gemacht hat. Heute hat die Wirtschaft zwei Schwächen: Es fehlen die soziale Marktwirtschaft und das ökologische Denken.

Schulen haben sich zur Ausstellung angemeldet. Was sagen Sie Kindern?

Nussbaumer: Wann wart ihr extrem unzufrieden? Wenn ihr euch eure Unzufriedenheit vorstellt, könnt ihr vielleicht an an- dere denken.

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